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demenz
DAS MAGAZIN
|
16 · 2013
praxis
tun haben. Zum einen sind Ekelgefühle also Teil eines
natürlichen Schutzprogramms, zum anderen sind sie
Teil kultureller und damit erlernter Verhaltensnormen.
Ekel ist ein Gefühl von großer Intensität, dessen un-
mittelbare Wirkung eher kurzfristig und situationsge-
bunden ist. Aufgrund dieser Eigenschaften wird Ekel als
Affekt bezeichnet. Damit soll ausgedrückt werden, dass
Ekel stark impulsive und reaktive Züge trägt. Das heißt:
Man muss seine ganze Willenskraft aufbieten, wenn
man diese Gefühlregung beherrschen beziehungsweise
nach außen nicht erkennbar werden lassen möchte. Im
professionellen Kontext heißt das im wahrsten Sinne
„Haltung bewahren müssen“.
Ekelreaktion als Überlastungssignal
Personen ohne eine gewisse Toleranz für ekelerregende
Situationen können den Pflegeberuf nicht ausüben. In
der Regel verfügen Pflegende über ein gewisses Spekt-
rum an Kompensationsmechanismen, um arbeitsfähig zu
sein und zu bleiben. Eine Dauerbelastung kann jedoch
dazu führen, dass die individuellen Toleranzgrenzen
sinken. Beanspruchungen, die bislang gut ausbalanciert
wurden, lösen dann zunehmend abwehrende Reaktionen
aus. Werden Pflegemitarbeiter im Pflegealltag häufig
von Ekelgefühlen gepeinigt, obwohl diese Emotion
früher nur in extremen Pflegesituationen aufgetreten
ist, dann sollte dies als Warnung verstanden werden.
Offensichtlich ist eine allgemeine Belastungsgrenze
deutlich überschritten.
Kleines Umgang-mit-Ekel-Einmaleins
Was kann nun Pfleger Herbert tun, um die Situation im
Fallbeispiel professionell zu meistern? Zunächst einmal
steht der eigene Schutz vor Infektionen im Vordergrund.
Hierzu sollte Herbert beim Umgang mit Sputum, wie
allgemein bei der Arbeit mit Ausscheidungen, Schutz-
handschuhe tragen. Der Zweck des Tragens von Schutz-
handschuhen dient ausschließlich zum Eigenschutz und
ist daher nur für bestimmte Tätigkeiten in der Pflege
sinnvoll.
Es kann hilfreich sein, die Situation für sich und den
Bewohner transparent zu machen, indem Herbert das
Geschehnis wertfrei formuliert, zum Beispiel im Sinne
von: „Damit haben Sie und ich wohl nicht gerechnet.“
Weiterhin tut Herbert gut daran, seinem Ekelempfinden
grundsätzlich nachzuspüren, zu prüfen, ob sich hier
in letzter Zeit etwas verändert hat. Kurzfristig kann es
hilfreich sein, eine kurze Pause in oder nach solchen
Situationen einzulegen und frische Luft zu schnappen.
Spätestens dann, wenn Herbert für sich feststellt, immer
öfter an seine eigenen Grenzen im Umgang mit ekel-
erregenden Situationen zu kommen, sollte er darüber
sprechen. Bestenfalls mit seinen Kollegen und Kolle-
ginnen im Team. Teams können entscheidend dazu
beitragen, den Umgang mit schwierigen Situationen
zu meistern, nicht nur im Zusammenhang mit Ekel.
Weitere belastende Situationen, die in der Pflege ein
Schattendasein fristen, sind Erfahrung mit Gewalt und
Scham. Hier rechtzeitig zu reflektieren und zu handeln,
ist die Aufgabe jedes einzelnen Pflegemitarbeiters, der
Teams aber auch der Leitungs- und Führungskräfte.
Transparenz und Offenheit im Umgang mit den schwie-
rigen beziehungsweise heiklen Seiten der Pflegepraxis
sind für Pflegende unterstützend und können entlasten.
Werden Pflegemitarbeiter zunehmend öfter von
Ekelgefühlen gepeinigt, dann sollte dies als Warnung
verstanden werden. Offensichtlich wurde eine allge-
meine Belastungsgrenze deutlich überschritten.
Handreichung für die Praxis
Im Modellprojekt „Demenz/Organisation/Selbstpflege“ (DemOS), das vom
Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert, fachlich von der Bun-
desanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin unterstützt und von der
Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung begleitet wurde, ist eine
Broschüre entstanden.
„Für alle Fälle“
will zu einem aktiven Umgang mit
den genannten Themen anregen sowie Pflegende und Leitungskräfte für den
Handlungsbedarf und im Sinne eines gesundheitsfürsorglichen Handelns
sensibilisieren. Mit dieser Broschüre erhalten Pflegende nicht nur Informa-
tionen, sondern auch praktische Vorschläge, mit deren Hilfe sie Situationen,
die sie belasten, durch eigenes Handeln verändern können. Diese Broschüre
sowie die anderen Produkte des von der Demenz Support Stuttgart durch-
geführten Modellprojekts DemOS (Demenz-Organisation-Selbstpflege) sind
zu bestellen unter:
Initiative Neue Qualität der Arbeit
c/o Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
Nöldnerstraße 40-42, 10317 Berlin
E-Mail: info@inqa.de
Thomas Herrmann
ist Pflegewis-
senschaftler.
E-Mail: th_herrmann_de@yahoo.de
Anti-Ekel-Tipps:
Schutzhandschuhe tragen für den
Selbstschutz, kleine Pausen einlegen
und frische Luft atmen,
die jeweilige Situation
kommunikativ auflockern,
den eigenen Ekel im Team
besprechen.