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Nein, das hätte sich die Leiterin eines Altenpflegeheimes
in Thüringen wahrlich nicht träumen lassen. Als sie vom
Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK)
eine Abmahnung bekam, erschien kurze Zeit später ein
Bericht darüber in der regionalen Presse. Um unhaltbare
„Zustände“ dort geht es. Wie die Information über die
Abmahnung in die Hände der Presse geraten konnte,
ist bis heute unklar. Seitens der Presse als auch der
Krankenversicherung gab es weder Absprachen mit
der Einrichtung noch entsprechende Informationen an
die Einrichtung.
„Was zählt, ist nur die Dokumentation“
Worum ging es? Nach einer Qualitätsprüfung des MDK
im Februar letzten Jahres gab es kleinere Mängel zu
beanstanden. Im Oktober des gleichen Jahres erfolg-
te aufgrund einer Beschwerde einer Bewohnerin des
Heimes eine weitere Kontrolle. Immer wieder wurde
die mangelhafte Dokumentation beanstandet: vor allem
über die sogenannte Dekubitus-Prophylaxe, also über
vorbeugende Maßnahmen gegen Druckgeschwüre.
„Wir haben keinen Bewohner mit einem Dekubitus.
Kein Bewohner ist zu Schaden gekommen. Die Gesamt-
note der MDK-Prüfung war 1,8. Es geht um vollständi-
ge Dokumentationen. Nur das zählt für den MDK. Da
gibt es entweder Ja oder Nein, schwarz oder weiß, eins
oder fünf.“ Die Leiterin der Einrichtung, die anonym
bleiben möchte, ist am Ende ihrer Belastbarkeit. „Das
Gesetz sagt: Ihr müsst dokumentieren! Und der MDK
ist rigoros. Wir sind auch nur Menschen und ich kann
und will nicht 24 Stunden hinter meinen Mitarbeitern
stehen. Die leisten gute Arbeit, sind jetzt auch psychisch
und physisch am Ende. Wie es weitergeht, wissen wir
nicht.“ Es ist Widerspruch erhoben worden. Doch gegen
Rufschädigung hilft das auch nicht.
Für Heimleitung und Mitarbeiter ist es nicht nur eine
existenzielle Frage, es hinterfragt auch, ob ihr Tun, ihr
Personsein und die tagtäglich zu leistenden Dienste
Statt ihre Arbeitszeit sinnvoll für mehr Zuwendung und
­praktische Pflege zu nutzen, müssen Pflegende immer mehr
­dokumentieren und Arbeitsnachweise führen. In den zurück­
liegenden Jahren ist ein bürokratischer Verwaltungs­moloch
­entstanden. Langsam regt sich Protest
Petra Uhlmann
wertgeschätzt werden. Das Misstrauen sitzt tief. „Viel-
leicht fällt mir auf die Füße, dass ich immer ehrlich war,
die Unterlagen nicht manipuliert habe. Es kann doch
nicht sein, dass das, was ich schreibe, das eine und das,
was ich getan habe, das andere ist. Und ich weiß gar
nicht, ob morgen nicht die nächste Prüfung vor der Tür
steht.“ Wie sich nun dagegen wehren? „Das weiß ich
noch nicht. Zum Glück stehen Bewohner, Mitarbeiter
und Freunde hinter mir. Bewohner, die sich für uns ent-
scheiden, kommen wegen der Lage und der günstigen
Kosten für einen Pflegeplatz. Auf die MDK-Noten schaut
keiner.“ Ihr Wunsch an die Prüfer wäre, eine andere
innere Haltung zu entwickeln, ein kollegiales Umgehen
miteinander: „Denn eigentlich sitzen wir doch alle im
‚gleichen Boot‘.“
Die Prüfung hinterlässt Spuren des Ausgeliefertseins
gegenüber einem System von funktionalen und öko-
nomischen Zwängen. Statt einer Dokumentation für
den MDK könnte es eine für die Bewohner und ihre
Angehörigen geben.
Die Altenpflegeeinrichtungen in Thüringen sind voll,
manche mit langen Wartelisten. Nach dem „AOK Pfle-
genavigator“ bekam der Freistaat Thüringen bundesweit
die schlechtesten Bewertungen. Warum? Gehen die
Thüringer mit einer anderen Gelassenheit an die „Pflege
nach Standard“?
Kleine mobile Pflegedienste
trifft es besonders
Jens Krauspenhaar, Geschäftsführer der ambulanten
Kranken- und Altenpflege „Humanitas“ in Bad Berka
(in der Nähe von Weimar) denkt das nicht. Er weiß
„Vielleicht fällt mir auf die Füße, dass ich immer ehrlich
war, die Unterlagen nicht manipuliert habe.“
Pflegenoten – dieses zu schnell auf
den Weg gebrachte System scheitert
in der Praxis. Es ist oberflächlich und
unflexibel. Es ermöglicht kaum eine
objektive Einschätzung. Es ist vielmehr
ein Machtinstrument in den Händen
der Prüfer.
„Pflegenoten? –
ohne uns!