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demenz
DAS MAGAZIN
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17 · 2013
Gentechnologie ist die Altenhilfe damit die am meisten
überprüfte Branche in Deutschland.
Pflegenoten:
Pflege verwalteten statt gestalten
Dazu ein paar Zahlen aus einem Bericht in der Zeit-
schrift „Altenheim“, Heft 9/2012: „(...) die Grenze der
Zumutbarkeit für die meisten Pflegeeinrichtungen ist
längst erreicht. Zahlreiche Studien belegen, dass na-
hezu nur noch die Hälfte der Arbeitszeit für die direkte
Leistungserbringung am Patienten verbleibt. Bewohner
werden zu Objekten der Dokumentation. Zahlen des
Statistischen Bundesamtes belegen: Die unmittelbar
mit den Transparentberichten und Qualitätsprüfungen
verbundenen Dokumentationskosten betragen jährlich
2,7 Milliarden Euro. Das entspricht ca. 68.000 Voll-
zeitstellen für Mitarbeiter in der stationären Pflege.
Warum machen diese mit bei dem absurden Spiel?
Nun, die Lobby der Bürokratie ist riesig, Unsummen
werden damit verdient und zwischenzeitlich haben sich
Machtstrukturen entwickelt, die keiner der Lobbyisten
abgeben will. Zentrale gesellschaftliche Fragen nach
einem würdevollen Leben im Alter werden auf Noten
reduziert (…).“
„Villa am Buttermarkt“
Im Jahr 2011 war der Südwestrundfunk (SWR) zu
Dreharbeiten in der „Villa am Buttermarkt“ in Adenau/
Rheinland-Pfalz. Just während dieser Zeit flatterte der
MDK-Bericht ins Haus. Die Enttäuschung darüber muss
Margarete Vehrs, Leiterin dieser Pflegeeinrichtung, auf
der Stirn gestanden haben: „Eine Gesamtnote von 2,8.
Das gibt es doch nicht. Wegen der Vorbeugung von
Druckgeschwüren? Und dann soll eine Bewohnerin, Frau
Schulz, innerhalb eines Monats neun Kilo abgenommen
haben, ohne dass uns das aufgefallen wäre. Unmöglich!“
Die Spurensuche ergab, dass Frau Schulzes* Ernäh-
rungszustand und Appetit wie immer gut waren. Sie
hatte lediglich einen neuen Rollstuhl bekommen, der
neun Kilo weniger wog. „So wurde sie eben das eine
Mal mit dem schwereren und das nächste Mal mit dem
leichteren Rollstuhl gewogen. Und deswegen die Be-
notung mit 5 und der Passus: ‚Gefährdete Einrichtung
wegen gefährlicher Pflege aufgrund von Gewichtsver-
lust.‘“ Richtlinien sind ja wichtig, aber der individuelle
Versorgungsbedarf und die Einzigartigkeit des Menschen
sind wichtiger. „Wir fragen uns inzwischen, ob die Be-
wohner überhaupt wissen, was in den Dokus über sie
geschrieben wird. Vielleicht würden sie dies ablehnen
und sich dagegen verwehren? Immerhin wird ihre Selbst-
bestimmung aufgehoben. Letztendlich geht es bei den
MDK-Prüfungen doch um gute Führung der Heime, um
gute Arbeit durch die Pflegedienste und nicht darum,
ein „Haar in der Suppe“ zu suchen. Um Lebensqualität
zu prüfen, müssten die Prüfer mindestens einen Tag
unauffällig im Heim mitlaufen und beobachten. Da be-
merkt man sehr viel.“
Das
projekt 3
ist ein Dienstleister in der Altenpflege
und im Bereich der Sozialarbeit mit Standorten in
Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt. Dazu gehört
unter anderem auch die „Villa am Buttermarkt“ in
Adenau in Rheinland-Pfalz.
Immer wieder stellen sich nicht nur den Pflegenden von
projekt 3 Fragen nach den möglichen Auswirkungen
dieser Prüfungsform auf die Pflegepraxis:
Wie prüft man eigentlich Lebens- und Pflegequalität?
Inwieweit haben die Pflegenoten Auswirkungen auf
die Pflegepraxis?
Steht der bürokratische Aufwand überhaupt in ir-
gendeinem Verhältnis zum Nutzen?
Auch das Moratorium Pflegenoten bringt sich ein
und versucht seit 2011 Mitunterstützer zu finden auf
dem Weg, sich für eine neue Ordnung der Qualitäts-
verantwortung in der Pflege einzusetzen.
„Für uns ist die Art und Weise, wie der MDK vorgeht,
unverschämt. Urplötzlich stehen seine Mitarbeiter un-
angemeldet vor der Tür. Das grenzt ja schon an Haus-
friedensbruch“, sagt Margarete Vehrs.
Mehrere Jahre nacheinander gab es für die Einrich-
tungen von projekt 3 Auszeichnungen für ihre Umgangs-
weise mit Menschen mit Demenz. Die vom MDK verge-
bene Pflegenote im Dementenbereich ist aber eine 3,4.
Das gesamte Team von projekt 3 und die Angehörigen
„Wir müssen herauskommen
aus dieser Negativschleife und uns
wieder dem Menschen in seiner
Ganzheit zuwenden!“
„Das System der
Prüfungen funk­
tioniert so nicht,
die Pflegenoten
sind absurd.“
Das MDK-Prüfverfahren
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) prüft seit Juli 2009
einmal im Jahr Pflegeeinrichtungen nach 82 Kriterien und Pflegedienste nach
37 Kriterien in fünf Themengruppen. Das geschieht im Auftrag der Landes-
verbände der Pflegekassen und wird nach einem bundeseinheitlichen Krite-
rienkatalog beurteilt, der die pflegerische Versorgung der Patienten erfassen
soll. Die Gutachter bewerten die Ergebnisse mit Schulnoten von „sehr gut“
bis „mangelhaft“. Aus den Einzelnoten werden Durchschnittsnoten in fünf
Bereichen errechnet. Laut Pflegetransparenzvereinbarung (PTV) werden alle
Ergebnisse auf verschiedenen Portalen im Netz veröffentlicht.