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demenz
DAS MAGAZIN
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17 · 2013
praxis
Petra Uhlmann
ist ehemals pfle-
gende Angehörige, Autorin und
Architektin.
E-Mail: uhlmann.petra@gmail.com
Moratorium Pflegenoten
Es gibt inzwischen eine Initiative gegen die Pflegenoten, die Sie
mit Ihrer Unterschrift unterstützen können.
Weiterführende Informationen finden Sie dazu unter:
www.moratorium-pflegenoten.de
www.aok-pflegeheimnavigator.de
„Pflege ist nicht starr, sondern orientiert sich
individuell am zu pflegenden Menschen in seiner
ganzen Komplexität. Und das ist nun mal nicht
messbar und überprüfbar.“
der Bewohner stehen hinter Margarete Vehrs. „Ma-
chen Sie weiter so, wir wissen, dass sie eine gute und
individuelle Pflege leisten.“ Diesen Background haben
viele Pflegeheime nicht und stehen den Instrumentarien
des „Pflege-TÜVs“ ohnmächtig gegenüber. Darum mag
es nicht wundern, dass es bei projekt 3 schon weite-
re Überlegungen gibt, diesem System entsprechend
zu reagieren: „Wir haben eine kleine Einrichtung mit
40 Bewohnern, die alle hinter uns stehen, und könnten
uns vorstellen, gegenüber dem MDK das Einverständnis
zur Inaugenscheinnahme der ausgewählten Bewohner
gemeinsam zu verweigern. Nicht nur, dass diese Begut-
achtung ein Eingriff in die Intimsphäre ist, sie macht
aus den Menschen auch Objekte.“
Pflegeplanungen: Geschichten über die
Menschen erzählen statt Standards abhaken
„Die Pflege ist auf dem Weg zur Verwissenschaftli-
chung“, geben auch Heide Trautzburg und Gabriele
Warlimont vom Pflegedienst CuraDomo in Berlin zu
bedenken. „Man sollte wieder umkehren und fragen,
was den Menschen guttut, was zu ihrem Wohlbefinden
beiträgt. Immer muss im Mittelpunkt der zu Pflegende
stehen und er sollte so viel Entfaltungsmöglichkeiten
haben, wie ihm das in einer Gemeinschaft möglich ist.“
Der Pflegedienst ist eigentlich dagegen, dass die
„MDK-Note“ veröffentlicht wird, egal, ob es sich um
eine 1 oder eine 4 handelt, denn: „Die Note spiegelt in
keiner Weise unsere Arbeit wieder. Die Aufgabe von
Pflegediensten ist es, ressourcenorientiert zu arbeiten,
der Blick des MDK ist pathologisch und sieht die Prob-
leme an erster Stelle. Unsere Sorge ist, dass Pflegekräfte
durch die Vorgaben der Pflegewissenschaft verführt
werden, Gewalt anzuwenden. Sie fühlen sich gegängelt,
eingeschüchtert und drangsaliert. Der Druck ist immens:
Wie wurde gewaschen, entspricht der Body-Mass-Index
den Standards und wie erfolgte die Nahrungsaufnahme?
Was ist, wenn ein Mensch nichts mehr essen oder trinken
möchte? Werden dann die Pflegekräfte zu Erfüllungs-
gehilfen gemacht und fremdbestimmt?
Wir fragen uns nicht erst seit heute, wie wir mit den
gesetzlichen Grundlagen umgehen können, ohne unsere
Mitarbeiter und Patienten vergewaltigen zu müssen. Der
MDK prüft nach einem starren Schema. Pflege aber ist
nicht starr, orientiert sich individuell am zu pflegenden
Menschen in seiner ganzen Komplexität. Und das ist
nun mal nicht messbar und überprüfbar. Pflege ist auch
Beziehung, Pflege ist Begegnung und sollte darum so
kreativ, spielerisch und menschlich wie möglich sein.
Auch die Dokumentationen sind uns viel zu starr.
Wir möchten beginnen, die Inhalte unserer Pflegepla-
nungen in Geschichtenform zu schreiben – Geschichten
über die Menschen, denen wir tagtäglich begegnen und
die uns ihr Vertrauen schenken. Seit jeher lesen und
erzählen Menschen gerne Geschichten. Nur in dieser
Form können wir den ganzheitlichen Menschen erfas-
sen, ohne dass er in 13 Scheiben (Bewertungspunkte!)
zerschnitten und analysiert wird.
Was wir uns aber auch wünschten, wäre eine gesunde
und kritische Auseinandersetzung mit den Vorgaben
des MDK. Wir müssen herauskommen aus dieser Ne-
gativschleife und uns wieder dem Menschen in seiner
Ganzheit zuwenden.“
Nicht zuletzt hat inzwischen eine Reihe großer Träger
ihre Spitzenverbände aufgefordert, aus dem System
auszusteigen. „Das System muss für die Menschen da
sein und nicht umgekehrt. Es müssten sich noch viel
mehr Pflegeunternehmen und Mitarbeitende empören,
das „Moratorium Pflegenoten“ unterstützen und sich
für eine neue Ordnung der Qualitätsverantwortung in
der Pflege einsetzen, kommentiert Mitinitiator Franz
J. Stoffer.
*Alle Bewohner und Patientennamen von der Redaktion
geändert