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demenz
DAS MAGAZIN
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17 · 2013
„Ich will in meiner Wohnung bleiben! Auf keinen Fall
ziehe ich zu dir! Wenn es zu Hause nicht mehr geht,
ziehe ich halt in eine Wohngemeinschaft.“ Im Wechsel
zwischen Wut und Verzweiflung äußert Gerda Meyer
dies gegenüber ihrer Tochter Lisa. Gerda Meyer liegt
nach einem Sturz in ihrer Wohnung im Krankenhaus.
Ihre Tochter Lisa Meyer ist gesetzliche Betreuerin ihrer
mit Demenz lebenden Mutter und möchte, dass ihre Mut-
ter nach dem Krankenhausaufenthalt zu ihr zieht, weil es
allein nicht mehr geht, wie sie sagt. Dem Umzug in eine
Wohngemeinschaft will die Tochter nicht zustimmen,
weil das ihrer Mutter nicht entspricht. Hatte sie sich
doch immer wieder abfällig über das Studenten-WG-
Leben ihres jüngeren Bruders lustig gemacht. Zudem
sei es viel zu teuer, außerdem könne sie das Pflegegeld
gut gebrauchen und habe genügend Zeit, die Mutter
zu unterstützen.
Als Gerda Meyer die Diagnose Demenz erhalten
hat, war die Tochter ihr eine gute seelische Stütze. So
stimmte sie später auch der Einrichtung einer gesetz-
lichen Betreuung zu. Dass nicht ein Fremder, sondern
ihre Tochter, zu der sie ein inniges Verhältnis hat, die
Betreuung übernahm, vermittelte ihr ein gutes Gefühl.
Vor gut einem Jahr hat ihre Tochter ihre Arbeit
verloren. Schon wenige Monate danach begann es,
dass Gerda Meyer sich zunehmend von ihrer Tochter
bevormundet fühlte. Hatte sie vorher das Gefühl, ihre
Tochter würde sie in ihrer Lebensführung unterstützen,
so kommt es ihr nun so vor, als müsse sie zunehmend
nach der Pfeife ihrer Tochter tanzen. Spricht sie Lisa
darauf an, bekommt sie zu hören, dass alles aus Sorge
geschehe und sie, die Mutter, manches eben nicht mehr
gut einschätzen könne. Gerda Meyer will nicht, dass ihre
Tochter über sie bestimmt, weil sie sich aus emotionalen
Der
freie Wille
zählt!
Michael Ganß
Gründen so schwer gegen sie zur Wehr setzen kann.
Da reibt sie sich lieber mit einem ihr fremden Betreuer.
Ihre Tochter will die Betreuung nicht aufgeben und
empfindet den Wunsch ihrer Mutter als widersinnig.
Was sie in ihrer Meinung bestärkt, diese könne nicht
mehr für sich entscheiden.
Gerda Meyer ist hilflos, weil sie nicht weiß, wie sie
einen Betreuerwechsel erwirken kann, wenn ihre Tochter
nicht zustimmt.
Entscheidend ist der freie Wille
der Betroffenen
Ein Grundsatz des Betreuungsgesetzes ist: keine Be-
treuung gegen den freien Willen. Die Einrichtung ei-
ner Betreuung von Amts wegen kann nur unter ganz
bestimmten Bedingungen eingerichtet werden. Der
oder die Betroffene muss an einer Erkrankung oder
Behinderung leiden, die dazu führt, dass er oder sie
den eigenen Willen nicht mehr frei bestimmen kann.
Dies äußert sich beispielsweise darin, dass Einsichten
nicht mehr unbeeinflusst von der Behinderung oder
Krankheit gebildet werden können und entsprechend
gehandelt werden kann. Dabei geht es ausdrücklich
um die Fähigkeit der Willensbildung und nicht um die
Fähigkeit, diese sprachlich artikulieren zu können.
Für die Feststellung, ob die Ablehnung einer Betreu-
ung auf einer freien Willensentscheidung beruht, wird
im Zweifelsfall ein Gutachter hinzugezogen. Wenn der
Betroffene das Gutachten anzweifelt, ist es ihm vorbe-
halten, einen eigenen Gutachter zu beauftragen.
Eine Betreuung wird immer auf Zeit eingerichtet und
vom Gericht spätestens alle sieben Jahre überprüft. Der
Betreute kann jederzeit einen Antrag auf Überprüfung
der Notwendigkeit einer Betreuung stellen. Möglich ist
ein Antrag auf Überprüfung der grundsätzlichen Not-
wendigkeit der Betreuung, wie auch die Überprüfung
einzelner Aufgabenbereiche.
Gerda Meyer fühlt sich von ihrer Tochter gegängelt.
Sie will einen anderen Betreuer. Aber sie weiß nicht,
wie sich das bewerkstelligen lässt.
Wenn der gesetzliche Betreuer zum Problem wird, oder:
Wie ich mich gegen die Bevormundung durch einen
Betreuer wehren kann