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demenz
DAS MAGAZIN
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17 · 2013
Hintergrund
„Es geht um dich“
– Demenzbetroffene in eigener Sache
Friedrich
– 71 Jahre, Ludwigsburg:
„Ich soll nicht mehr Auto fahren!“
„Autofahren war nicht nur mein großes Hobby,
sondern damit verdiente ich unseren Lebensun-
terhalt als Berufskraftfahrer. Nun sagt mein Arzt,
ich sei eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer.
Meine Familie verlangt es sogar von mir, sofort
mit dem Autofahren aufzuhören. Das nenne ich
Bevormundung. Ich bin ein freier Mensch und
soll mich jetzt so fügen.
Diese Einsicht habe ich nicht. Oder doch –
wenn ich eine andere Aufgabe hätte. Irgendetwas
mit Autos: daran basteln, Route selber ausrech-
nen – genauso wie früher, oder vielleicht eine Art
Fahrlehrer sein für meinen Enkel.“
Nina
– 47 Jahre, Magdeburg:
„Ich möchte mir einen Hundewelpen
­anschaffen, aber alle sind dagegen!“
„Ich liebe Tiere, besonders Hunde. Ich wollte mir
einen Welpen anschaffen. Mein Mann war auch
einverstanden. Dann kam die Diagnose: fronto-
temporale Demenz. Plötzlich wurde einiges an-
ders. Arbeiten, ohne Integration, ist nicht denkbar.
Jetzt hätte ich viel Zeit für einen Hund, aber alle
sind dagegen. Ihr Argument: ‚Es geht um mei-
ne Lebenserwartung und was will ich mit einem
Welpen.‘ Dies kann ich nicht verstehen und es
macht mich traurig.“
Hubert
– 61 Jahre, Medienredakteur, München:
„Ich fühle mich als Medienredakteur
­abgeschrieben!“
„Richtig aggressiv werde ich, wenn ich an meine
tolle berufliche Tätigkeit denke. Klar, mit dem
Leistungsdruck und Tempo einer Redaktion kom-
me ich nicht mehr mit. Aber meine Kreativität
würde ich gerne einbringen.
Habe so bei kleinen Agenturen und Vereins-
blättern vorgesprochen und auch auf meine Ein-
schränkung durch die Diagnose hingewiesen. Ich
wurde aber einfach nicht ernst genommen. Die
haben auch ein Bild in ihren Köpfen: Demenz, also
ist der Mensch abgeschrieben. Diese Einstellung
macht mich wütend.“
Ingrid
– 58 Jahre, Achern:
„Ich dekoriere gern um, aber dafür hat
­keiner Verständnis, geschweige denn Lob!“
„Seit meiner Diagnose bin ich unruhiger geworden.
Irgendwie bin ich gerne in Bewegung und will
auch permanent in meiner Wohnung was verän-
dern. Da ich ja alleine lebe, verrücke ich auch mit
Mühe Möbelstücke, dekoriere anders. Ich bin ein-
fach stolz darauf, was ich schaffe und wie schön es
immer aussieht. Aber Familie, Freunde zu Besuch,
finden es gar nicht gut, was ich verändere. Mehr
noch, sie sagen, ich verunstalte alles. Und das
kann nur mit meiner Demenz zusammenhängen.
Ich habe beschlossen, sie nicht mehr in meine
Wohnung einzuladen. Ich bin immer so traurig,
wenn gar kein Lob kommt.“
Agnes
– 69 Jahre, Bregenz:
„Die Menschen, die mir am nächsten stehen,
wollen mir meinen Glauben nehmen!“
„Mein Glaube hat mich in vielen schwierigen Si-
tuationen in meinem Leben getragen. Auch jetzt
in der Demenz ist er eine Kraftquelle für mich.
Auch in der Selbsthilfegruppe kenne ich nur Men-
schen, die auch durch den Glauben verbunden
sind. Aber die Menschen, die mir am nächsten
stehen, verstehen mich nicht. Sogar mehr, sie
versuchen, mich davon abzuwenden. Ihr Argu-
ment: ‚Wenn es Gott gäbe, hätte er nicht gerade
mir eine Demenz gegeben.‘
Ich habe eine Diagnose und kann sehr wohl
klar denken. Ich gehe
meinen Weg
und mir tun
diese gesunden Menschen irgendwie leid. Nie-
mand hat doch das Recht, uns etwas zu nehmen!
Kontakt
Helga Rohra
c/o demenz
Hölderlinstraße 4
70174 Stuttgart
© sammyhart.com
Helga Rohra
stellte Demenzbetroffenen die folgende Frage:
„Wann und wogegen müssen Sie manchmal Widerstand leisten? –
Vielleicht gegen den Versuch, Sie zu bevormunden, Sie nicht ernst
zu nehmen, Sie nicht zu beachten.“
Wo und wann ist Ihr Widerstand gefragt?